MobB e.V.

Menschen ohne bezahlte Beschäftigung - Hilfe & Selbsthilfe e.V.

Geschichten aus tausendundeinem Jena

Geschichten aus tausendundeinem Jena

Neue Texte der Jenaer Sprachverwender
2011
MobB e.V. c/o Jenaer Sprachverwender
ISBN: 978-3-00-034153-3

Leseprobe

Christa Scholz

Natürlichkeiten

Natur und Mensch - ein Gegensatz?
Wo ist Natur - wo Menschenplatz?
Mensch macht sich breit im Erdenrund
und treibt's inzwischen gar zu bunt:
bepflastert Ufer und auch Wiesen,
erschrickt, wenn Wässer sich ergießen
in seine schöne neue Welt -
und fühlt sich trotzdem noch als Held.

Die Erde nutzen dürfen wir
ganz so wie jegliches Getier,
doch müssen wir uns auch bescheiden
und der Natur den Platz nicht neiden,
den sie genauso braucht zum Sein.
Was wär, sie ließe uns allein?

Ich möchte keinen stummen Frühling kennen
und will auch nicht die vielen Arten nennen,
die jährlich, täglich, stündlich untergeh'n,
es ist schon fünf vor zwölf und nicht erst zehn.
Wach auf mit mir, mein Freund, aus Träumerei,
die heile Welt uns gaukelt und noch allerlei!
Der Weg zum Schutz, zum achtsamen Gebrauch,
ist steinig, aber lustvoll ist er auch.

Nur was du kennen lernst, wirst du auch lieben.
Das ist der Zauberweg - den musst du üben.



Rosalina Eschke>

Im Bauerngarten

Die junge Liljana ging kurz vor Sonnenaufgang in den Garten. Der Tau benetzte ihre nackten Füße. Nach dem Morgenrot ließen die noch flachen Sonnenstrahlen Blüten und Blätter bunt leuchten. Die Spatzen hoben zu zwitschern an, das Wasser der kleinen Quelle fügte sich plätschernd ein und nach und nach floss auch das Brummen der Bienen und Hummeln in diese Symphonie der erwachenden Natur. Ja, selbst das sachte Heben der Blättchen und Halme meinte man hören zu können, die sich Stück um Stück aufrichteten, befreit vom verdampfenden Tau. Liljana fing leise zu singen an.
Sie ging, ja schwebte im Rhythmus ihres Liedes zum Fliederstrauch und brach drei dunkel-violettfarbene Dolden ab, dann, das Tempo wechselnd, wandte sie sich mit einem Mal um und stand nach ein paar Schritten vor dem weißen Flieder. Mit ihrem Strauß im Arm lief sie zuerst zu den Blumenbeeten, roch den Duft des Flieders, den Duft der Erde, des gemähten Grases, der Narzissen und des Honigs. Wie verzaubert hielt sie inne, ohnmächtig fast von den Gerüchen, Farben, Tönen, die all ihre Sinne berührten, so zart, so gewaltig, so entfesselnd wie zum ersten Mal in ihrem Leben. Ihr Lied verstummte, sogar ihr Atem stand einen Augenblick lang still. Ihr erwachender Körper spürte schon vage, dass sie sich der Malve gleich aufrichtete, um in diesem Sommer noch wie die Rose aufzublühen. Der Frühling, die Jugend, die Erwartung wundersamer Dinge webten um Liljana ein Kleid aus Frische und Spannung. Irgendwo im Dorf krähte ein verspäteter Hahn, die Kühe muhten im Stall, auf der Weide trabte das Pferd zum Gatter und auch Bello, der Hund, war schon wach. Fröhlich mit dem Schwanz wedelnd kam er Liljana entgegengelaufen, sprang hoch, jaulte wohlig, ließ sich liebkosen.
Swilen, der Nachbarjunge, war heute früh erwacht und ging sofort hinaus. In der hohen Buchenhecke hatte er neulich ein Guckloch entdeckt. Gut getarnt verfolgte er kaum atmend die Bewegungen Liljanas nackter Füße und ließ dann seinen Blick ihre schlanke Figur hinan zu ihren Armen erst, und schließlich zu ihrem lieblichen Gesicht gleiten. Für die Musik der Natur hatte er keine Ohren, für die Schönheit der Blüten kein Aug' - seine Nase sog nur den Geruch von Liljanas erwachendem Körper auf, als sie - ahnte sie gar seine Nähe? - ganz dicht an ihm vorbeilief. Er erstarrte. Als er seine Augen wieder öffnete, war Liljana im Haus verschwunden.



Berit Hilpert

Nie wieder

Große Hure Deutschland,
dein gieriger Blick hat uns die Sinne vernebelt.
Im Rausch der
Farben, Rausch der
Düfte, Rausch der
Lüste, wie warst du heiß!

Jetzt wendest du dich ab, hüllst
deine Schultern, deine
kalten
schlaffen
Schultern, in ein Tuch, das Flecken trägt
wohl auch von mir.

Ist die Orgie vorbei, macht
träge Angst sich breit.
Die dumpfe Ahnung wird zur Gewissheit -
Das ist es, was es heißt:
Nie wieder.
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